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In der Wüste braucht man keine Uhr

Die Sahara hat Allah geschaffen,
um sich darin in Ruhe zu ergehen
.
(800 Kilometer Einsamkeit - von Djanet nach Tamanrasset)
 

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Das Tassili-Gebirge im Süden Algerien ist ein Naturwunder. Nahe der Grenze zu Libyen und dem Niger liegt ein Gebiet aus Stein und Sand, das bis vor wenigen tausend Jahren noch grün und üppig bewachsen war. Dann wandelte sich das Klima und die Sahara wurde größer und größer. (Die Dünen ebenso). Heute liegt an den südlichen Ausläufern des urzeitlichen Gesteins umgeben von Palmenhainen und riesigen Sandfeldern der malerische Ort Djanet. Hier leben an die dreitausend Menschen und ein paar hundert Kamele. Die ehemaligen Tuareg-Siedlung ist heute Treffpunkt für einsame Wüstenfahrer - inmitten der Sahara weit weg vom Rest der Welt. Im Ortskern findet man ein paar Cafes, eine Bank, einen Campingplatz und einen Markt, der alles bietet, was man sich in der Wüste an Komfort wünschen kann: Brot, Gemüse, Joghurt, Chilli, Cous-Cous, Tee und Cola. Und Zigaretten. Und Snickers. Es ist ein kleines Paradies, in dem man gerne ein wenig länger als geplant verweilt.

Gestern noch waren wir in Libyen, haben am Grenzposten in Ghat in der Mittagshitze die sprichwörtliche Muse afrikanischer Zöllner kennengelernt (und uns konsequenterweise endgültig von unseren westlichen Zeitvorstellungen getrennt), sind vorbeigezogen an endlosen Sandfeldern und haben mächtige Geröll- und Steinwüsten durchquert.
Wir beziehen Quartier, schlagen unsere Zelte am Rande der Stadt auf, sammeln Holz für das abendliche Lagerfeuer, kümmern uns um unsere geschundenen Motorräder, ergänzen unsere Wasservorräte und begeben uns am späten Nachmittag in die örtliche Dorfschenke auf einen Pfefferminztee und ein Cous-cous. So einfach kann das Leben sein. Zeit spielt hier keine Rolle.

Zwei Tage lang zieht uns der Müßiggang in seinen Bann. Zwei Tage, an denen nichts weiter geschieht als schlafen, frühstücken, plaudern, Dünensurfen, Tagebuch schreiben, Tee trinken, plaudern, Dünensurfen, (mitgebrachtes!) Bier trinken, Luftfilter und Fingernägel putzen, kochen, Abendessen, am Lagerfeuer sitzen und in den Schlafsack gekuschelt neben dem Lagerfeuer einschlafen.

Doch wir wissen, dass der Weg das Ziel ist und das Ziel ist der Weg nach Tamanrasset. Am Markt von Djanet besorgen wir Verpflegung für die nächsten drei Tage und stopfen uns die Jackentaschen mit Süßigkeiten voll. An der Ausfahrtstraße Richtung Nordosten liegt die Tankstelle und wir tun gut daran, sämtliche zur Verfügung stehenden Kanister aufzutanken. Denn vor uns liegen 700 Kilometer Piste entlang des nördlichen Randes des Hoggar-Gebirges, eine lange und anstrengende Fahrt, auf der wir nur wenigen Menschen und keiner Zapfsäule begegnen werden.

Gegen Mittag brechen wir auf. Wir verlassen die Stadt auf der Asphaltstraße in östlicher Richtung und legen 150 schnelle Kilometer bis Zaoutallaz, einer Wüstenstadt inmitten des Nichts, zurück. Kinder winken am Straßenrand, laufen ein Stück mit, Erwachsene sitzen im Schatten der spärlichen Tamarisken, grüßen freundlich und geben auf die Frage nach dem richtigen Weg höchst unterschiedliche Antworten. Wir vertrauen unserem GPS und biegen einfach irgendwo zwischen den Häusern südlich ab. Die Hauptpiste ist schwierig zu finden, es gibt jede Menge Abzweigungen und Nebenpisten. Glücklich, wer GPS-Punkte hat. Und ebenso glücklich, wer einfach der Nase nachfährt und sich die schönste Strecke aussucht. Es geht über (hinterhältige!) Kamelgrasbuckeln und ausgefahrene Sandwege, die gleichsam natürliche Anlieger bieten und das Herz des Endurofahrers wahrlich höher schlagen lassen. Jeder ist alleine mit sich, dem Motorrad und der Wüste und doch führen am Ende des Tages alle Wege an denselben Punkt.
Die Nacht ist kalt und klar, das Feuer wärmt, der Schnaps ebenso und die Sterne reichen bis zum Horizont.

Die Piste des nächsten Tages ist eine gelungene Mischung aus tiefen Sandfeldern, ausgewaschenen Queds und endlosen Kiesebenen. Das Tempo reicht von zwei bis einhundertvierzig Stundenkilometer. Jawoll! Stehengeblieben wird nur an Kreuzungen, um die Gruppe zu sammeln, um zu sehen, ob eh noch alle da sind, um zu sich gegenseitig zu erzählen, wie fein es hier ist und wie gut das Moped läuft, um sich eine Zigarette zu wuzzeln und einen Müsliriegel einzuwerfen.
Reichlich müde, aber sehr, sehr zufrieden breiten wir bei der untergehenden Sonne unsere Isomatten aus. Und einmal mehr wird uns klar, dass wir nicht der Mittelpunkt der Welt sind.

Das Etappenziel des folgenden Tages ist die 2.600 Meter hoch gelegene Schutzhütte am Assekrem-Pass im Hoggar-Gebirge östlich von Tamanrasset. Der Hoggar ist ein gewaltiges Vulkanmassiv mit bizarren Felsformationen, Zeugen einer vergangenen Zeit: Im Laufe der Jahrtausende haben die Sahara-Winde die Hänge der Vulkane abgegraben und mächtige Basaltsäulen freigelegt, die wie Nadeln aus dem Boden ragen. Bergkuppen erheben sich wie Riesen-Orgeln mit aus Lava geformten Pfeifen, Grate mit scharf gezackten Felskämmen durchschneiden die Landschaft, die Hochflächen sind mit Granitblöcken übersät. Auf unserer Fahrt treffen wir auf zwei Kamele, ansonsten scheint die Gegend gänzlich unbewohnt.

Die steinerne Schutzhütte am Assekrem empfängt uns mit der den Tuareg eigenen Gastfreundlichkeit. Wir schütteln uns den Staub aus den Kleidern, ziehen unsere Stiefel aus und nehmen Platz auf den Pölstern und Teppichen in der Stube. Es wird Tee gereicht, man tauscht Höflichkeiten und Postkarten aus und versucht, sich so gut wie möglich zu unterhalten (könnten wir doch nur ein wenig mehr Französisch und hätten wir in der Schule doch nur ein bisserl besser aufgepasst!). Des Abends steigen wir auf die südliche Anhöhe und genießen den Sonnenuntergang über einer grandiosen Mondlandschaft.

Die Nacht ist kurz. Um halbsechs ist Tagwache. Es gilt die aufgehende Sonne bei der Eremitage des Paters Foucauld am Assekrem zu begrüßen. Gerädert vom Schnarchen der anderen begeben wir uns 200 Höhenmeter den Berg hinauf auf ein Plateau. Wir sehen, wie sich der Himmel erst hellblau, dann dunkelrot und orange verfärbt, bis schließlich die ersten Sonnenstrahlen hinter den Felsspitzen hervorblitzen und unsere müden Gesichter zum Leben erwecken.

Gefrühstückt wird auf der Terrasse der Eremitage, die von zwei Mönchen bewirtschaftet wird. Die beiden treiben uns die Kälte der Morgenstunde mit heißem Tee aus den Knochen. Im Gespräch stellt sich heraus, dass die beiden seit 18 und 28 Jahren (!) hier leben und mit sich und der Welt offensichtlich sehr im reinen sind. Nach dem Frühstück lesen die Mönche in der nahen Kapelle die Morgenmesse. Die Sonne bahnt sich ihren Weg durch die kleinen Fenster zum Altar, einer einfachen Granitplatte auf drei Basaltsäulen. Wir fühlen uns dem Schöpfer so nahe wie nie zuvor in unserem Leben. Beeindruckend.

Tamanrasset empfängt mit seinen rund 80.000 Einwohnern erscheint uns nach der Abgeschiedenheit der vergangenen Tage wie eine Großstadt. Tam, wie der Ort in der Umgangssprache genannt wird, ist der Hauptort des Hoggargebirges und Hauptstadt des südlichen algerischen Departements. Eine breite, von Tamarisken gesäumte Hauptstraße durchzieht heute die Stadt. Von beiden Seiten ist sie flankiert von kleinen dunklen Läden, Cafes und Werkstätten. Es gibt ein Kino und ein Internet-Cafe, ein Touristenbüro, ein Krankenhaus, Souvenirgeschäfte und Banken. Tam ist ein blühender Ort, der sich als ständig wachsendes Handelszentrum zur Drehscheibe der Handelsbeziehungen Algeriens zu den Ländern Westafrikas entwickelt hat.

Tam ist aber auch der alte Hauptort der Tuareg, der Blauen Männer. Einst waren sie die stolzen "Ritter der Wüste", das Volk vermummter Krieger, tollkühne Kamelreiter in der Sahara. Die Tuareg umweht ein Hauch von Abenteuer und Romantik, deren Leben von der Härte und Unerbitterlichkeit der Wüste geprägt ist. 1990 kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen den Tuareg und den Regierenden in Mali und im Niger. Nach der fünfjährigen Rebellion ist das (ehemalige) Nomadenvolk heute von seinen Zielen zu mehr Autonomie und kultureller Selbstbestimmung weiter entfernt ist als je zuvor. In Tam sieht man nur mehr selten einen Blauen Mann.
Von Tamanrasset sind es nur mehr rund sechshundert Kilometer Richtung Süden bis an die Grenze zum Niger. Die Tuareg, deren Leitsatz die Freiheit des Denkens und die Freiheit der Bewegung ist, sind sesshaft geworden.

Wie sieht es mit uns aus?

 
Text: Karin Mairitsch
 
(Artikel erschienen im "Motorradmagazin")
 

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Letzte Änderung am Sonntag 10 November, 2002 20:41 von Webknecht.