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Zwischen Pilgern, Bettlern und Reiskörnern

Das Fest zu Ehren der Hochzeit von Shiva und Parvati
 

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Einmal im Jahr, zu Shivaratri, kommt Leben in das kleine Fischerdorf Gokarna. Shivaratri ist eines der wichtigsten Feiertage für Hindus. Es wird der Hochzeit Shivas mit Parvati gedacht. Die Feier findet statt im Mondmonat Phalaguna, der ungefähr unserem Monat Februar entspricht, und sie dauert eine Woche.

Für diese Zeit strömen täglich bis zu 20.000 Pilger in das sonst verschlafene Fischerdorf, das im Bundesstaat Karnataka, südlich von Goa liegt. In dieser Woche sind die Hotelzimmer rar und deren Preise dreimal so hoch. Die ansonsten leere Hauptstraße füllt sich mir Leben. Fahrende Händler stellen ihre kleinen Stände auf und verkaufen über Wundermittel, das sämtliche Krankheiten heilt, bis zum Talisman hin alles, was das Pilgerherz begehrt. Auch an die Kinder wird gedacht: Plastikhandies, Spielzeugpistolen und batteriebetriebene Spielzeugautos lassen Kinderherzen höher schlagen. Dazwischen plärren Kassettenrecorder, leider selten in der richtigen Geschwindigkeit.. Hauptsache sie sind laut. Musikkassetten mit Soundtracks der unzähligen Filme, die in Indien Jahr für Jahr gedreht werden, lassen sich immer gut verkaufen.

Die Bettler interessieren sich weniger für diese Dinge, die für sie unerreichbar sind. Arbeit ist rar und so bleibt ihnen oft nichts anderes übrig, als von Almosen zu leben. Für sie gilt es, einen guten Platz zwischen Tempel und Strand zu ergattern. Schon einigen Tagen vor dem Fest kommen die ersten ins Dorf und basteln sich aus Palmblättern notdürftig einen Schutz vor der gleißenden Sonne. Es geht um Reis - die meisten Pilger, für die Almosengeben Pflicht ist, geben schon lange kein Geld mehr. Aber sie verteilen den Reis in den zahlreichen Schüsseln und Decken, die die Bettler vor sich ausgebreitet haben.

Die besten Plätze liegen am Ende des Dorfes, dort, wo der lange Sandstrand beginnt. Hier gibt es keine offene Kanalisation und es weht stets ein frischer Wind. Junge Mädchen, selbst noch Kinder, sitzen mit ihren Babies am Arm zwischen alten ehrwürdigen Männern mit langen Bärten. Ob sie heilige Männer auf entbehrlicher Pilgerschaft sind oder einfache Bettler, können selbst Inder oft nicht unterscheiden.

Zu Ehren Shivas werden am Strand Lingas in allen möglichen Größen erreicht. Das Lingam ist Shivas berühmtestes Symbol und zugleich Indiens bekanntestes Fruchtbarkeitssymbol. Immer wieder versammeln sich Pilger am Strand rund um Mantras, vedische Hymnen, die richtig gesungen magische Wirkung haben sollen.

Rund um dem kleinen Tempel, der Shiva geweiht ist, bildet sich eine lange Schlange von hunderten von Menschen. Stundenlang warten die Pilger geduldig, um einen Blick auf das Heiligtum des Tempels werfen zu können.

Der eigentliche Höhepunkt ist das Ziehen des riesigen Triumphwagens zu Ehren Shivas. 25 Meter hoch ist dieser Wagen, einige Tonnen schwer und komplett aus Holz geschaffen. Mehrere hundert Menschen sind notwendig um den Wagen die Hauptstraße hinauf und wieder hinunter zu ziehen. Immer mehr Männer versammeln sich an den ärmeldicken Seilen und feuern sich gegenseitig begeistert an. Sie ziehen und ziehen, und in den ersten Sekunden scheint es, als wolle sich der Wagen nicht vom Platz bewegen. Erst nach einiger Zeit beginnen sich die mannshohen Holzräder unter dem fröhlichem Gejohle der Menschenmenge zu bewegen. Zwei Männer auf jeder Seite halten den Wagen mit Holzbalken, die sie immer und immer wieder unter die Räder schieben auf der richtigen Spur.

Das Ziehen des Wagens ist ausschließlich Männersache.

Die Bettler beteiligen sich nicht an diesem Ereignis. Jedes Reiskorn, das neben den Topf oder dem aufgebreiteten Tuch fällt, wird sorgfältig aufgelesen. Kinder laufen auf Geheiß ihrer Eltern den Pilgern nach, um vielleicht noch eine Handvoll Reis zu ergattern.

Am Morgen nach den Feiertagen sind die Bettler verschwunden. Wahrscheinlich sind sie auf dem Weg zum nächsten religiösen Fest, um wieder Reis für die nächsten Tage zusammen zu kommen.
Zurück bleiben die Palmblattdächer. Noch einige Tage lang werden sie den Weg zum Strand säumen, bis der Wind auch diese Spuren beseitigt hat.



 
Text: Peter Miletits
 
 
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Letzte Änderung am Montag 9 August, 2004 20:13 von Webknecht.