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Höllenritt in der Sardinendose
Vierer-Bob am Königssee
Ein Erfahrungsbericht von Karin Mairitsch
2007

 

Sechsfache Erdbeschleunigung: Die Fahrt durch den Eiskanal am Königssee lässt Bandscheiben und Adrenalinspiegel in bislang unbekannte Höhen und Tiefen schnellen

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Gut gelaunt und scherzend stehen wir mit unseren Helmen in der Hand am Start der Bobbahn am Königssee. André Lange, mehrfacher Weltmeister und Olympiasieger im Vierer-Bob, erteilt letzte Instruktionen für die bevorstehende Fahrt durch den Eiskanal vom Königssee. Wir albern herum, doch die Miene des 33Jährigen Deutschen ist: „Leute, das wird kein Honiglecken. Wer Rückenprobleme hat, soll es besser bleiben lassen. “ Jaja, denke ich mir, was soll schon sein, ich kenne Autos mit 500 PS und Motorräder mit Lachgaseinspitzung, was kann da schon ärger sein?

Der Blick auf die umstehenden Athleten lässt die Wahrheit nur erahnen. Oberschenkel wie Baumstämme, Hälse wie spanische Jungstiere, Hände wie Fleischermeister - Spitzensportler, die den 100-Meter-Sprint in unter 11 Sekunden bewältigen. Sie sind die „Anschieber“, bringen den Bob beim Start auf Geschwindigkeit und die satte Beschleunigung von 30 Metern pro Sekunde.

Also nehmen wir Platz. Wir, das sind André ganz vorne und Kevin, der schöne Bremser mit dem Gesicht von Gerard Depardieu, ganz hinten, ein stiller deutscher Kollege an Position drei und ich an Position zwei. Viel Platz ist nicht. Ich wurschtle mich zwischen André und den Stillen auf einen minimalistisch-ungepolsterten schwarzen Kunststoffsitz und frage mich ernsthaft, wo ich meine Beine hintun soll. Da ist kein Platz mehr! „Doch“, sagt einer der Umstehenden, den ich aufgrund meines sich zusehens beschlagenden Helmvisiers nicht mehr erkennen kann. „Doch, da ist Platz. Direkt vor dir.“ Wo? „Zwischen deinem Sitz und dem des Lenkers.“ In diesem 20 Zentimeter-Spalt? „Ja.“

Der Stille umfasst mich von hinten unter den Achseln und verschränkt seine Arme vor meiner Brust. Ich beuge mich vor und greife die metallenen Haltegriffe. André nimmt die beiden Lenkseile in die Hand. Es wird ernst. Letzte Anweisung: Den Rücken gerade halten, Muskeln anspannen.

Und dann geht es ab. Die Anschieber leisten auf ihren mit 600 nadeldünnen Spikes gespickten Spezialschuhen ganze Arbeit. Der Anzeigetafel entnehme ich, dass unsere Startzeit – die Zeit für die ersten 50 Meter - 5,58 Sekunden beträgt, das sind, ich beginne zu rechnen, exakt acht Zehntel über der Weltcup-Spitzenzeit, und wenn eine Zehntelsekunde mehr am Start drei Zehntelsekunden mehr im Ziel bedingt, dann sollten wir mit einer Zeit von … uiiuuuiiiiuihhh! … keine Zeit mehr für Rechenaufgaben, das schiebt aber wirklich an, die Hochschaubahn im Prater ist Kinderfasching!

Und die Sardinendose mit ihren sechs Millimeter breiten Kufen beschleunigt weiter. Mit 50 Stundenkilometern geht es durch die „Teufelsmühle“ auf die Gerade, dann hinein in die „Schlangengrube“, eine zweifachen S-Kombination, messerscharf biegt der Bob ab, links, rechts, links, rechts, Stahl auf Eis hat so gut wie keine Reibung, aber Hallo, was ist denn hier los, das hab ich mir aber nicht so vorgestellt, das lässt sich mit Gummi auf Asphalt nicht vergleichen. Mir wird mulmig. Wir haben jetzt einen schlanken Hunderter erreicht und es ist noch lange nicht Schluss.

Noch kann ich am Piloten vorbei sehen, und was ich sehe, stimmt mich, Hand aufs Herz, nicht wirklich froh. Vor uns tut sich eine Eiswand auf, die „Jennerkurve“, die uns in das „Turbodrom“ bringt, hinein in den gefürchteten Kreisel vom Königssee. Bisher war alles nur Vorgeschmack. Und: Es gibt kein Zurück. Jetzt kommt die 360-Grad-Drehung an der senkrechten Wand, haltlos presst es uns mit dreifacher Erdbeschleunigung in die Sitze, das Hirn weigert sich zu denken, laut stöhnt der Körper auf, die Federung ist ein schlechter Witz, als Schockabsorber dient einzig eine lächerliche Gummimuffein der Mitte jeder Kufe, keine Rede von Gasdruckdämpfer oder Spiralfeder. Aua!

In sechs Sekunden ist der Kreisel durchfahren. Ich atme kurz auf, aber es wird noch ärger. Wir schlittern rechts uns links durch das „Labyrinth“, die „Kehlsteinkurve“ und die „Seekurve“, erreichen vierfache Erdbeschleunigung und stechen mit unfassbaren 120 Stundenkilometern in die „Echowand“. Sie wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Ein heftiger Schlag in den Rücken ist die Einleitung, es folgt ein Stakkato kleinerer Hiebe, heiß und kalt schießt es mir durch den Rücken, erbarmungslos treibt mich die Schwerkraft durch das Eisbett, knochenharte, sechsfache Erdbeschleunigung! Schwer hängt der Kopf zwischen den Knien, es beutelt mich am ganzen Körper, ich kann mich nicht mehr bewegen, du lieber Gott, wird das jemals enden?

Es endet. Was nun folgt, ist nur mehr das Nachspiel. Der Eiskanal führt bergauf, ich kann den Kopf wieder heben, empfinde dankbare Erleichterung. Der Bob wird langsamer, es folgen noch zwei Kurven, der schöne Kevin zieht die Bremse, einen 30 Zentimeter langen Rechen mit Stahlzähnen. Wir kommen zum Stehen. Alles ist gut.

Für die 1.500 Meter lange Strecke am Königssee brauchen wir 51 Sekunden, nur zwei Sekunden mehr als die Weltcup-Fahrer. Ich schäle mich aus dem Sitz, versuche mit wackligen Knien auszusteigen, irgendwer reicht mir die Hand, schwach lächelnd nehme ich sie an, kann sie gut gebrauchen. Es braucht einige Sekunden, bis ich wieder klar denken kann. Oder sind es doch Minuten?

Fazit: Ärger geht’s nicht. Da kann keine Rennstrecke, kein Auto, kein Motorrad der Welt mithalten. De facto ungefedert und ungebremst auf vier Stahlkufen durch einen spiegelglatt polierten Eiskanal zu fetzen ist ... das Ärgste, das ich je erlebt habe.

Und, ja, ich würde es wieder machen. Wobei - wie arg muss erst Skeleton sein?

 

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Letzte Änderung am Dienstag 28 August, 2007 11:14