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Der Moment des Augenblicks |
Es braucht schon eine ganz eigene Art der Geisteshaltung, um mit dem Motorrad sechzig Meter weit zu springen und das auch noch lustig zu finden. |
(Innsbrucker Alpchallenge) |
hier geht's zum bild Dass Motorradfahren gefährlicher ist als Schachspielen, wissen wir. Dass Motocross gefährlicher ist als Choppercruisen, wissen wir auch. Freestyle Motocross darf in diesem Zusammenhang als absoluter Hardcore gelten und ist vom Standpunkt der Gefährlichkeit und Waghalsigkeit wohl in einem Atemzug mit Szenen aus Mission Impossible II oder einem Basejump von den Twin Towers in Kuala Lumpur zu nennen. Warum um Gottes Willen tut man es dann, wenn es doch so gefährlich ist? Die Antwort ist denkbar simpel: weil es so gefährlich ist. Extremsportler schließen mit dem Leben eine Wette ab: Sie vertrauen darauf, dass eine Kombination aus Wollen und Können, Glück und das richtige Timing ausreichend ist. Was ja zumeist auch stimmt. Schmerzen stehen trotzdem an der Tagesordnung. Auch wird gar nicht so wenig Blut vergossen und eine Menge Metall verbogen. Für Außenstehende sieht es so aus, als ob die Fahrer früher oder später nicht viel mehr hinterlassen als ein paar arge Videos und einen mächtigen Krater an der Aufschlagstelle. Nichts ist ausgeschlossen. Das gefährlichste am Freestyle Motocross ist zweifelsohne die Landung aus einer Höhe von bis zu 15 Meter. Der Flug davor ist aus der Sicht des Fahrers vergleichsweise unspektakulär (was soll einem in der Luft auch großartig passieren?). Die Burschen fliegen über eine Strecke von 50 Metern und mehr und lösen sich dabei komplett vom Motorrad, sie legen im Flug den Kopf auf die Sitzbank und die Füße über den Lenker oder sie strecken die Beine waagrecht nach hinten aus (hat den passenden Namen "Superman"). Diese paar Sekunden des freien Flugs - die Momente vor der Landung - lassen sie eingeschlagene Zähne, tiefe Fleischwunden, gebrochene Hände und schlimmeres riskieren. Was zählt, ist der Augenblick. Freestyle Motocross ist mehr als ein Sport, es ist ein Lebensstil. Böse Zungen behaupten, es wäre vielmehr ein Todesstil - aber ist das nicht in letzter Konsequenz dasselbe? Die Fahrer scheinen in einem Zustand zu leben, der Angst und Schmerzen nicht kennt. Das ist wohl auch einer der Hauptgründe, warum der heute 32jährige Mike Jones - "Mad Mike Jones" - seit mittlerweile 18 Jahren (!) professioneller Freestyle Motocrosser ist. Er hat es zum World Supercross Champion gebracht und in seiner Karriere mehr als einhundert Jump Contests gewonnen. Und mit Showläufen in Amerika und seit kurzem auch in Europa kann man schon sein Geld verdienen. Die 35.000 USS Preisgeld für den ersten Platz bei der Innsbrucker Alpchallenge im Juni vorigen Jahres waren ja nicht schlecht. Hier hat Mad Mike dem Publikum den ungläubigen Atem stocken lassen, als er mit verbundenen Augen (jawohl!) einen Sprung über gut und gerne 40 Meter hinlegte und dann auch noch freihändig landete. Grüß Gott! Die Tatsache, dass er sich bei derartigen Kunststücken fünf Knieoperationen, eine durchbohrte Lunge und 15 Knochenbrüche eingehandelt hat und sechs Mal ohnmächtig von der Strecke gebracht wurde, juckt ihn wenig. Er macht den Job schon lange - schmerzstillende Mittel und andere psychotrope Substanzen nimmt er mit demselben Respekt ein wie unsereins etwa Halswehzuckerln. Ein weiterer Star der Szene ist der 24jährige Mike Metzger aus Californien. Seine Großeltern stammen aus Österreich, der Nachname ebenfalls. "The Metz" gilt als der Künstler der zweirädrigen Lüfte, als Godfather der Szene und absoluter Liebling der Zuseher. Vergönnt Mad Mike dem Publikum bestenfalls ein animalisches Brüllen und einen erhobenen Mittelfinger (macht sich gut während des Fluges), lässt sich Mike Metzger ganz im Gegensatz dazu zu einem "I love Innsbruck!" und einem "I love Austrian bikes!" hinreißen. Mike handelt und entwirft heute Freestyle MX-Zubehör und hat lange Zeit ein Tatoo-Studio betrieben. Fast alle Tätowierungen auf seinem Körper stammen von seiner Hand (und das ist wörtlich zu nehmen), einzig bei den Tatoos am rechten Arm musste er passen - schließlich ist er Rechtshänder. Demnächst wird sich ein neues Kunstwerk dazugesellen: Über die gesamte Breite des Rückens trägt Mike eine Narbe, die von einem höchst unglücklichen verlaufenen Unfall herrührt, bei dem er mit dem Oberkörper zwischen Hinterrad und Kotflügel eingeklemmt war und dabei - Aua! - das Gas hängen blieb. "Da werde ich mir ein riesiges Fleischermesser machen lassen. Das kommt sicher gut. Und es paßt zu meinem Namen." The Metz hat Erfahrung und eine Unzahl von Verletzungen einstecken müssen. Der unangenehmste Crash muss wohl der gewesen sein, bei dem er sich gleich beide Oberschenkel gebrochen hat. Aber egal, denn das "Free" in "Freestyle" bedeutet für Mike: keine Grenzen, keine Regeln, keine Gesetze. Auf dem Motorrad saß Mike im zarten Alter von drei Jahren, zu Ruhm auch außerhalb Amerikas gelangte er mit dem 1993 erschienenen Video "Crusty- Demons of Dirt". Vor kurzem ist die fünfte Folge des Hardcore-Kultes - "Metal Millennium" - erhältlich. Unsere Lieblingsszene: Man sieht den Swimminpool eines Hotels. Es ist ein großes Hotel. Auf dem Dach hoch über dem Swimmingpool steht ein Motocrosser. Es ist klar, was passieren wird - und dennoch ist man immer wieder überrascht. Und was wäre ein Crusty-Video ohne Bubba? in seinem bis dato letzten Abenteuer versucht Bubba, einen Dirtrider mit einem Truck zu überfahren. Der Truck hat Eiscreme geladen. Sehenswert. Die Crusty-Videos - so knochenhart, blutverschmiert und drogengeschwängert sie auch sein mögen - haben Freestyle MX von einer Sportart für ein paar abgehoben Verrückte zu einem Erlebnis für die Massen gemacht. Micky Dymond war selbst einer der Fahrer beim legendären Erstlingswerk der Fleshwound Films: Nämlich der, der ins Publikum springt... Nach seiner Wiedergenesung und den Erfolgen von "Crusty" hat sich Micky der Materie dann von einer anderen, neuen und vitaleren Seite zugewandt: Heute sammelt er die besten Freestyle Motocrosser Amerikas um sich und tourt mit ihnen durch die neue und die alte Welt. Micky organisiert das passende Gelände, schließt Verträge ab, überwacht die Errichtung der Sprunghügel (denn das ist eine sehr, sehr diffizile Angelegenheit) und räumt zwischen den einzelnen Startern aus dem Erdreich hervorlugende Steinchen höchstpersönlich mit dem Rechen aus dem Weg. In Europa war seine Truppe heuer bereits zu drei Veranstaltungen geladen, die sechs Läufe zur amerikanischen Freeride Moto-X Championship sind bestens besucht. Und ganz wichtig: Die amerikanische Fernsehsender ESPN, ESPN2 und ABC sowie die deutschen Sender VIVA und DSF haben Freestyle MX als Doping für die Einschaltquoten entdeckt. Nicht zuletzt bedingt durch das Interesse der Medien ist Freestyle MX seit vorigem Jahr fixer Bestandteil der amerikanischen X Games. Ab der kommenden Saison werden die Fahrer erstmals in zwei Bewerben antreten. Freestyle und Step-Up, der MX-Version des vom BMX her bekannten High Jump. Das kann ja lustig werden. Bleibt eine Frage offen: Sind Veranstaltungen wie die Innsbrucker Alpchallenge nichts als Show-Läufe? Nein. Dass die Show beim Freestyle Motocross wesentliches Element ist, kann und braucht man nicht zu verleugnen. Der Rest aber ist gelebte Kompromisslosigkeit gewürzt mit einem Schuss Wahnsinn. Und davor haben wir höchsten Respekt. |
Text: Karin Mairitsch |
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beispielsweise unter www.metzgermotorsports.com (Artikel erschienen im "Motorradmagazin") |
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Donnerstag 12 Juni, 2003 22:00
von Webknecht.
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