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Im Schatten der Feuerzangenbowle

Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind zufällig und nicht erwünscht
 

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Es war ein Zufall, der mich hierher führte, ein Termin ganz in der Nähe, keine hundert Kilometer vom Ort des Geschehens entfernt. Doch Zufälle gibt es eine, und vielleicht bin ich in Wahrheit eine von denen, die an einem Wochenende im Februar gerne hinter dem Ofen sitzen, eine Tasse Tee trinken, angenehm gelangweilt im Wellness-Magazin blättern, eine Runde mit dem Hund spazieren gehen, ein gutes Buch lesen, die Aktienkurse studieren, Ordnung schaffen im Abstellkammerl (und endlich die Werkzeugkiste vom Schmutz säubern), in aller Ruhe die Handtasche aufräumen, oder am Sofa auf die Übertragung vom Sportnachmittag warten. Jeder bekommt das, was er braucht, und offen gestanden war es bislang jedes Jahr so, dass ich immer eine gute Ausrede gehabt, warum es leider, leider wieder nichts werden würde mit mir und dem Elefantentreffen.

Diesmal hatte ich keine Ausrede.

Freitagnachmittag

Ankunft in Thurnmannsbang. Ich bin noch ein wenig desorientiert, in Gedanken noch beim letzten Termin, werde aber gleich beim Eingang des Geländes von zwei dunkelblonden Bayern aufs herzlichste empfangen, und nach einem Stamperl vom Selbstgebrannten aus der Hand eines schlammverschmierten Mitvierzigers sieht die Welt gleich ganz anders aus.

Und sie sieht hier in Thurmannsbang im Bayerischen Wald tatsächlich anders aus. Nix da mit Termindruck und Notebooks, keine Rede von Big Mäcs und Apfeltaschen, keine Wimperntusche weit und breit und keine Playstations. Vor mir türmt sich eine Zeltstadt aus hunderten kleinen und größeren Behausungen, dazwischen Strohballen, Schneeburgen, Motorräder, Menschen, Bierdosen, Lagerfeuer, Helme, Stiefel, Gulaschdosen und Benzinkanister. Mit großen Augen und aller zur Gebote stehenden Unvoreingenommenheit tauche ich bei strahlendem Sonnenschein in das Geschehen ein. Das kann ja lustig werden.

Der Weg führt mich leicht bergab durch das bunte Treiben zu einer Kreuzung, und weil ich nicht so recht weiß, wohin mit mir, bleibe ich an der Kreuzung stehen. Nach einem kurzen Rundblick beschließe ich, abzuladen und hier an dieser Stelle mein Zelt aufzuschlagen. Die Nachbarn empfangen mich mit einer Dose feinsten Hopfenextraktes und ich füge mich gerne in mein Schicksal.

Meine Bierkumpanen stellen sich alsbald als Vertreter jener Fraktion heraus, die quasi schon immer beim Elefantentreffen dabei waren. Die Echten. Der eine ist ein etwa 50jähriger Motorradhändler aus dem Schwabenland und heuer bereits zum dreiundzwanzigsten Mal hier, sein Freund, ein Marketingassistent, feiert sein zwanzigstes Elefantentreffen-Jubiläum, und auch der Junior der Gruppe, ein frisch geschiedener Botenfahrer, ist kein Neuling hier. Die drei haben sich so wie auch in den letzten Jahren zusammengefunden, um ein Wochenende jenseits von Frau, Kind und Arbeit zu verbringen. Ich kann diesem Ansatz eine Menge abgewinnen.

Nach dem zweiten geleerten Bier und mit dem dritten Bier in der Hand mache ich mich kurz vor Sonnenuntergang auf, um die weitere Umgebung zu erkunden.
Schlamm und Schnee vermischen sich zu einer schlüpfrigen braunen Soße, die den Anstieg auf den Hügel zu einem rutschigen Abenteuer machen. Ich stolpere vorbei an der Imbissbude, an Zeltschnüren, an ungezählten Motorrädern, zeige mich schwer beeindruckt von einem der letzten grünen Elefanten (für alle, die es nicht wissen sollten: Es handelt sich dabei um die legendäre Zündapp KS 601, der Namensgeberin des Elefantentreffens), bin nicht minder beeindruckt von den Worten ihres Besitzers ("Gö, da schaust. So was hot no nia gsehn in deim Leben, wos?"), begebe mich weiter bergauf, entdecke eine alte XT 500 (so schön!) und eine Zündapp KS 50, in deren Beiwagenboot eine Badewanne mit Durchlauferhitzer eingebaut ist. Ihr Besitzer outet sich als Warmduscher und bekommt in meiner persönlichen Sympathieliste 7 von 10 möglichen Punkten.
Als ich oben angelangt bin, ist die Dunkelheit über die Zeltstadt hereingebrochen.

Freitagabend

Weil es jetzt, wo die Sonne untergegangen ist, doch ein wenig frisch wird, steuere ich auf das nächste Lagerfeuer zu. Es ist der Platz einer Gruppe aus München. Über der Feuerstelle steht ein Dreibein mit einer Kette, und an der Kette hängt ein Topf, in dem es dunkelrot süßlich vor sich hin brodelt. Einer der Umstehenden meint: "Halt mal", und drückt mir ein weißes Emailhäferl in die Hand. Dann greift er zu dem großen Schöpflöffel, taucht ihn tief in den Topf ein, rührt noch einmal kräftig um ("Wegen der Orangen...") und füllt das Häferl mit Feuerzangenbowle.
"Prost!", sagt er, und: "Auf dich!" Ich denke mir, gut, da bleib ich ein bisserl stehen.

Später stehe ich nicht mehr, sondern sitze ich auf dem Alu-Seitenkoffer einer Transalp, habe unter den Popo ein wärmendes Schaffell verpasst bekommen, und unterhalte mich mit einem Wiener über Sinn und Unsinn von Motorradtreffen, über alte und neue Motorräder, über die Dünen Algeriens, das Leben und den ganzen Rest. Die Feuerzangenbowle ist unerschöpflich.

Noch später sitze ich nicht mehr auf dem Alu-Seitenkoffer einer Transalp, sondern auf einem brombeerfarbenem Klappsessel beim Lagerfeuer, und halte meine eiskalten Zehen über die Glut.

Noch viel später sitze ich überhaupt nicht mehr, sondern liege in einem 20-Mann-Zelt unter einen dicken Decke, habe unter den Popo eine dicke Lage Stroh verpasst bekommen, und beschäftige mich bestenfalls noch mit dem Gedanken, ob ich nun doch noch in mein kleines Zelt unten bei der Kreuzung zurückkehre, oder ob ich das besser bleiben lasse. Ich entscheide mich für zweiteres.

Samstag weiß nicht mehr so genau wann

Das Winterlicht leuchtet weiß durch den Zelteingang, als ich am nächsten Tag aufwache. Es ist wohlig warum unter der Decke, das Stroh duftet wie im Stall auf der Almhütte, draußen scheint die Sonne, der Himmel ist auch blau, und dem Kopf geht es erstaunlich gut. Ich sammle meine Sinne. Das Ohr sagt mir, dass ich mich unter Münchnern befinde, das Auge sagt mir, dass ich am Elefantentreffen bin, und die Nase sagt mir, dass es Zeit ist aufzustehen.

Benommen von den Nachwirkungen schäle ich mich aus dem Stroh, schlüpfe in die Jacke, suche meine Schuhe, finde den einen neben einer leeren Dose Ravioli und den anderen zwischen zwei Sturzhelmen ganz hinten im Zelt. Draußen vor der Tür hat das Treiben des Elefantentreffens schön längst wieder seinen Lauf genommen. Das Lagerfeuer der Münchner ist wieder entfacht (oder ist es die ganze Zeit über gar nicht ausgegangen?), Motorräder fahren auf den Wegen zwischen den Zelten auf und ab, versinken in knietiefen Schlammlöchern, werden mit gröhlendem Applaus der Umstehenden bedacht, einige karren mit ihren Beiwagenmaschinen Holz heran, andere sitzen in der Sonne, trinken Kaffee, Tee, Bier oder Schnaps, unterhalten sich über vergangene Treffen, über Spikereifen, Lenkerstulpen und Griffheizungen, die einen kochen sich ein Süppchen und die anderen nehmen ein Aspirin. Unten im Talkessel, dort, wo das Schmelzwasser des Schnees einen kleinen See gebildet hat, hat ein Menschengrüppchen mit lustigen Mützen und langen, in die Mütze integrierten Zöpfen (!) ihre Angeln ausgeworfen, keiner weiß, wonach sie fischen, auch nicht die Menschen mit den lustigen Mützen, aber sie tun es mit viel Hingabe. Ich sehe Männer mit dicken und mit schönen Bäuchen, Frauen mit und ohne Motorrad, Menschen mit und ohne wasserdichtem Schuhwerk, und alle, wirklich alle, sind ausgesprochen guter Dinge. Und die, die möglicherweise nicht so guter Dinge wären, schlafen neben den Zelten ihre Räusche aus. Es gibt keine Streitereien und kein Anpöbeln, und das, obwohl sich hier am Gelände knapp 5.000 Personen aufhalten.

Jeder im Publikum ist Hauptdarsteller

Das Geheimnis des Elefantentreffens liegt vermutlich darin, dass jeder hier seinen ganz persönlichen Vogel ungeniert ausleben kann. Der Alltag liegt weit, weit entfernt in einer gänzlich anderen Welt, und es gibt keinen Grund, etwas anderes zu tun, als genau das, was einem gerade einfällt. Wozu man gerade Lust hat. Es ist ein Wochenende der Entspannung im wahrsten Sinne des Wortes, und da sich die einen am besten bei einem gehörigen Vollrausch entspannen, die anderen aber bei einem ausführlichen Benzingespräch, und die dritten beim nächtlichen Abhängen am Lagerfeuer, ist die Mischung hier in Thurmannsbang eine ausgesprochen bunte.

Ich für meinen Teil beschließe den Samstag mit einer (einer!) Feuerzangenbowle, nicht ohne zuvor meinen Schlafsack aus meinem kleinen, einsamen Zelt an der Kreuzung geholt und mir ein warmes Platzerl im Stroh des 20-Mann-Zeltes der Münchner gesichert zu haben.

Bei der Rückreise am Montag ist mein einziger offener Wunsch der nach viel Schnee und gebührender Kälte für das Treffen im nächsten Jahr. Denn drei Tage am Elefantentreffen sind besser als zehn Sitzungen beim Therapeuten.
Zumindest theoretisch.


 
Text: Karin Mairitsch
 
(Artikel erschienen im "Motorradmagazin")
 
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Letzte Änderung am Dienstag 25 Februar, 2003 16:26 von Webknecht.