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Erik goes Europe

Träume lassen sich verwirklichen, indem man sich entschließt, daraus zu erwachen.
(Testbericht Buell Lightning XB9S)
 

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Sie ist kommunikativ. Nicht geschwätzig, nein, das nicht. Nicht geschwätzig. Sie ist reif, sie kann zuhören, sie weiß, was sie will und weiß, wovon sie spricht. Sie kennt sich aus, hat Erfahrung. Sie ist motiviert und sie ist leicht zu motivieren. Gemeinsam ist es am schönsten. Sie liebt die Hügel Südfrankreichs, sie steht auf die Berge Südtirols, sie kennt die Zillertaler Höhenstraße, den Exelberg und den Ochssattel. Die Haselrast geht immer.

Und sie ist schön. Mit leuchtenden Augen gibt sie uns zu verstehen, dass sie voll bei der Sache ist. "Geht schon", sagt sie und grinst uns an, "geht schon, den Z3 da vorne kriegen wir. Die Bahn ist frei, es geht sich aus, noch vor der nächsten Kurve. Zurückschalten? Wie du willst, Schatz, wie du willst. Aber mach! Tu es!" Und wir geben Gas, wir beide, wir nähern uns dem Z3 von hinten, die Kurve ist noch hundert Meter weit weg, dritter Gang, jawohl, es reißt uns vorbei, der Z3 hat keine Chance, wir steigen in die Bremsen, bringen das Gewicht aufs Vorderrad, lehnen uns in die Kurve hinein, sie will gedrückt werden, gemeinsam kommen wir zum Kurvenscheitelpunkt, wir lösen die Bremsen, geben ihr den notwendigen Stoß mit der Gashand, und es katapultiert uns auf die Gerade, wo schon die nächste Kurve wartet.
Wir wollen mehr.

Körbchengröße 984

Die Leidenschaft wurde der Lightning in die Wiege gelegt, in die Gene oder sonst wohin. Der Vater der Lightning XB9S heißt Erik Buell, und der ist anerkanntermaßen ein waschechter Freak. Die Buell Lightning XB9S ist nun das zweite Modell des erfolgversprechenden Jahrgangs 2003. Die Schwester heißt Firebolt XB9R (siehe auch Fahrbericht der XB9R im Motorradmagazin 04/2002); die S unterscheidet sich von der R durch die aufrechtere Sitzposition - andere Sitzbank, die Fußrasten der sind weiter unten angebracht, der Lenker ist weiter hinten und breiter - sowie durch die fehlende Halbschalenverkleidung und die Farbgebung. Fahrwerk und Motor sind ident, die Wahl zwischen beiden Modellen fällt schwer.

Mit einem Trockengewicht von 175 Kilogramm zählt die Lightning XB9S zu den Leichtgewichten in der Klasse der Streetfighter, und sie kann sich in diesem Segment durchaus mit europäischen Marken messen. Der 984-Kubik-V2-Motor verfügt über ein breites nutzbares Drehzahlband und schiebt schon bei 3.000 Umdrehungen mächtig an, sie lässt sich herrlich in die Kurven bringen (je enger desto besser), das Fahrwerk ist straff, voll verstellbar und steckt Schlaglöcher einwandfrei weg, die Bremswirkung der am äußeren Speichenende direkt an der Felge befestigten 375-Milimeter-Bremsscheibe mit Sechs-Kolben-Bremszangen ist beachtlich. Der Radstand der Lightning misst höchst handliche 1.320 Millimeter, und gemeinsam mit einem Lenkkopfwinkel von 21 Grad beschert sie uns wunderbar glückliche Stunden im Winkelwerk.

Never change a Winning Team

Erik Buell investierte sein zweirädriges Gehirnschmalz in die Entwicklung eines pipifeinen Motorradkonzeptes: "Wir suchen immer nach der besten Lösung, und nehmen technische Vorgaben nicht als gegeben an", erklärt er. Und er fügt hinzu: "Gutes darf bleiben, weniger gutes muss gehen."

Beim Motor der Lightning haben wir es mit einem zutiefst traditionellen luftgekühlten 45-Grad-V2 zu tun, und das ist de facto nicht Stand der Technik. Zeit für Ehrlichkeit. Seit Jahrzehnten beschäftigt uns ein vergleichbarer Murl in den Produkten der Harley-Davidson Motor Company. Diese Verwandtschaft erscheint auf den ersten Blick befremdlich - denn was bitte soll ein derartiger Motor in einem Streetfighter, ha? - auf den zweiten Blick muss man aber kopfnickend anerkennen, dass der Motor der Buell mit den Antriebsaggregaten der mächtigen Harley-Chopper oder der alten Buell Thunderstorm wenig gemeinsam hat: Nach mehrjähriger Entwicklungsarbeit lassen Kraft und Drehmoment des 984-Kubikzentimeter-Motors auch für uns Straßenkämpfer wahrlich keine Wünsche offen, da schau her.

Und so steht plötzlich und unerwartet die Frage im Raum, ob Tassenstössel und Fünfventiltechnik auf der Straße überhaupt notwendig wären. "Nein", kommt die klare Antwort von Buell, "nein, nicht auf der Straße. Hand aufs Herz, wer braucht da schon einen High-Tech-Motor mit 140 PS und Drehzahlen jenseits der 10.000? Auf der Rennstrecke, ja, da macht das Sinn, aber die Rennstrecke ist nicht die Realität. Auf der Straße braucht es ordentlich Kraft von unten." Wo er recht hat, hat er recht.

Wahr ist aber auch, dass ein luftgekühlter Zweizylinder mit Stösselstangen und untenliegender Nockenwelle nie an die Leistung eines wassergekühlten Motors mit Tassenstössel und vier obenliegenden Nockenwellen herankommen wird - selbst wenn er wie bei der Buell mit gewaltigem Ansaugvolumen und digitaler Einspritzanlage ausgestattet ist. Die Thermik setzt die Grenzen, und so finden wir an der Buell einen wohl dimensionierten Ölkühler sowie Lüfter und Windtunnel, die dem hinteren Zylinder das Überleben ermöglichen. Unterm Strich bleibt stehen, dass 84 Pferdestärken, 86 Newtonmeter und der Schub von unten auf der nur 175 Kilo schweren Lightning ausreichend sind für fast alles, was sich uns in den Weg stellen möchte.

Traditionell gibt sich neben dem Motorenkonzept auch die Kraftübertragung der Buell, zwischen Motor und Hinterrad verrichtet ein zweieinhalb Zentimeter breiter Kevlar-verstärkter Zahnriemen seine Dienste. Die an sich schmale Konstruktion des Zweizylinders macht es möglich, und die Leistung des Motors ist nicht so brachial, dass einzig eine Kette den Beanspruchungen des Sekundärantriebes gewachsen wäre. Es muss nicht immer eine Kette sein. Der Zahnriemenantrieb ist wartungsfrei, leise, sauber und leicht, der Riemendurchhang wird über eine Spannrolle eliminiert, der lästige Ruck des Lastwechsels entfällt. Warum etwas ändern, dass gut flutscht?

Die Massen im Zentrum

Getreu dem gebetsmühlenartig vorgetragenem Credo des Erik Buell nach Reduzierung und Zentralisierung der Massen wartet die Lightning XB9S mit einigen technischen Raffinessen auf, die uns in ihrem lodernden Feuer andächtig verharren lassen: Der Motor ist als tragendes Element in den Rahmen integriert, die patentierte Uniplanar Motoraufhängung aus Schwingungsdämpfern und Zugstreben (ein Steckenpferd des Herrn Buell) sorgt für Vibrationsfreiheit. Der Kraftstofftank wurde in den Rahmen und der Öltank in die Schwinge verlegt, der Auspuff findet sich unter dem Motor. Das Zero Torsional Load Bremssystem (ZTL) überträgt die Bremskräfte ohne Umwege direkt auf die Reifen, Rad und Speichen weisen minimalistische Gewichtswerte auf. Das Fahrwerk ist über einen extrem weiten Bereich voll einstellbar, viereinhalb Seiten lang ist alleine die Beschreibung der richtigen Fahrwerkseinstellung im Manual.

Erik Buell sei Dank, der Mann hat bei der Konzeptionierung der Lightining das Hauptaugenmerk auf die größtmögliche Freude beim Fahren gelegt. Das langjährige Credo des heute knapp Fünfzigjährigen findet in ihr seine anschauliche Verwirklichung: Minimierung der ungefederten Massen, Zentralisierung der ungefederten Massen und Stablisierung des Fahrwerks. Passt. Vor uns steht ein Motorrad, das nichts weiter im Sinn hat, als Spaß zu machen. Und schön zu sein, selbstverständlich, was wären die inneren Werte ohne die äußeren.

Nachspiel

Der Himmel ist blau, das Meer ist nahe, die Bergspitzen sind schneebedeckt, das Thermometer zeigt 22 Grad, wir haben die Buell Lightning XB9S an unserer Seite, ausreichend Sprit im Tank und den herrlichsten Asphalt unter den Füßen. Das Leben ist schön.

Unten an der Küstenstraße klopft sie uns beim Eiscafe danach anerkennend auf die Schulter und sagt: "So, genau so, soll es sein. Schön war das. Du bist ein guter Fahrer." Zufrieden lehnt sie sich zurück, blinzelt in die Sonne, und fragt schelmisch lächelnd: "Sehen wir uns morgen wieder?" Sie ist sich ihrer Sache verdammt sicher. Und sie hat recht damit.

 
Text: Karin Mairitsch
 
(Artikel erschienen im "Motorradmagazin")
 
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Letzte Änderung am Montag 4 November, 2002 21:55 von Webknecht.